Sonntag, 22. Oktober 2017

Neue Menschenaffenfunde aus Eppelsheim geben Rätsel auf



Eppelsheim / Mainz (ur-rhein-blog) – Haben am Ur-Rhein in Rheinhessen vor etwa zehn Millionen Jahren mehr als die drei bisher bekannten Gattungen von Menschenaffen gelebt? Diese Frage ist nach dem Neufund von zwei Menschenaffenzähnen in Eppelsheim (Kreis Alzey-Worms) in Rheinland-Pfalz aktuell. Die spektakuläre Entdeckung eines Menschenaffen-Backenzahnes und eines -Eckzahnes war im September 2016 bei einer Grabung in etwa acht Meter Tiefe gelungen. Vor dem Sensationsfund in Eppelsheim im vorigen Herbst kannte man aus Eppelsheim die Menschenaffengattungen Paidopithex, Rhenopithex und Dryopithecus.

Von Paidopithex kam 1820 in einer Sandgrube im Gewann „Jörgenbauer“ bei Eppelsheim ein etwa 28 Zentimeter langer Oberschenkelknochen ans Tageslicht. Es handelte sich um den weltweit historisch ersten Fund eines fossilen Menschenaffen! Ernst Schleiermacher, der Direktor des großherzoglichen Naturalienkabinetts in Darmstadt, deutete das Fossil irrtümlicherweise als Oberschenkelknochen eines zwölfjährigen menschlichen Mädchens. Der Darmstädter Paläontologe Johann Jakob Kaup bildete den Oberschenkelknochen erst 1861 in einer Publikation ab. Dabei erwähnte er die Ähnlichkeit des Eppelsheimer Fundes und des Oberarmknochens eines fossilen Menschenaffen aus Saint Gaudens in Frankreich mit dem heutigen Gibbon. 1895 schlug der Bonner Paläontologe Hans Pohlig für den Eppelsheimer Oberschenkelknochen den wissenschaftlichen Namen Paidopithex (griechisch: pais, paidos = Kind, pithekos = Affe). Der Originalfund des Eppelsheimer Oberschenkelknochens hat – im Gegensatz zu anderen Fossilien im Hessischen Landesmuseum Darmstadt – den Bombenangriff am 27. Februar 1945 heil überstanden. Er trägt den Gattungsnamen Paidopoithex und den Artnamen rhenanus.

Der schimpansengroße Menschenaffe Rhenopithecus (Rheinaffe) wurde 1935 von dem Darmstädter Paläontologen Oscar Haupt anhand eines oberen linken Eckzahns aus dem Gewann „Jörgenbauer“ bei Eppelsheim erstmals wissenschaftlich beschrieben. Ein nur 2,7 Zentimeter hoher Eckzahn eines männlichen Tieres von Rhenopithecus eppelsheimensis ist das Typusexemplar, nach dem diese Art erstmals beschrieben wurde. Eppelsheim gilt als Typuslokalität. Der seltene Menschenaffenzahn wird im Hessischen Landesmuseum Darmstadt aufbewahrt. Wenn Rhenopithecus eppelsheimensis so groß war wie heutige Schimpansen, erreichte er eine Kopfrumpflänge bis zu 95 Zentimetern. Erwachsene Männchen könnten bis zu 70 Kilogramm gewogen haben.

Erst 2000 wurde der Menschenaffe Dryopithecus sp. bei einer Grabung des Frankfurter Forschungsinstituts Senckenberg im Gewann „Auf dem Alzeyer Weg“ bei Eppelsheim nachgewiesen. Bei diesem optisch unspektakulären Fund handelt es sich um das Bruchstück eines Fingerknochens von etwa 1,5 Zentimeter Länge. Dieses stammt nach Ansicht der Paläontologen Jens Lorenz Franzen aus Frankfurt am Main (heute Titisee-Neustadt), Ottmar Kullmer aus Frankfurt am Main und Jeremy Tausch aus New York von einem so genannten Dryopithecinen (Dryopithecus sp.). Der Gattungsname Dryopithecus (Baumaffe oder Affe aus dem Eichenwald) fußt darauf, dass ein anderer Fund dieses Menschenaffen (Dryopithecus fontani) bei Saint Gaudens (Frankreich) 1856 zusammen mit Resten von Eichen geborgen wurde (griechisch: drys = Eiche, pithecos = Affe). Dryopithecus war je nach Art etwa 70 Zentimeter bis 1,50 Meter groß. Die Backenzähne von Dryopithecus weisen ein typisches Furchenmuster auf. Auf Kauflächen der unteren Backenzähne sind zwischen fünf Höckern Rillen in Form eines „Y“ ausgebildet. Dieses so genannte Dryopithecus-Muster erscheint nur bei Vertretern der Überfamilie Hominoidea, die Menschenaffen und Menschen zusammenfasst. Das Gebiss der Gattung Dryopithecus, das man von anderen Fundorten kennt, lässt auf einen Waldbewohner schließen, der sich von weichen Pflanzen ernährte. Der sehr seltene Originalfund des Fingerknochenfragments eines Menschenaffen aus Eppelsheim wird im Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt am Main wie ein Schatz gehütet.

Die Menschenaffen-Zahnfunde aus Eppelsheim vom September 2016 sollen künftig eine der Hauptattraktionen der neuen Dauerausstellung des Naturhistorischen Museums Mainz bilden.
Zuerst war ein Mitglied des Grabungsteams von Bastian Lischewsky auf einen rechten oberen Backenzahn gestoßen, dann auf einen linken oberen Eckzahn. Die beiden Zähne lagen etwa 60 Zentimeter voneinander entfernt. Der Backenzahn ist 8,5 Millimeter breit und 7,9 Millimeter hoch. Der Eckzahn misst 9,8 Millimeter Länge. Nach ersten Untersuchungen der hervorragend erhaltenen Menschenaffenzähne kam der Präparator Thomas Engel vom Naturhistorischen Museum Mainz zu dem Schluss, dass diese Zähne von einem etwa dreijährigen Menschenaffen stammen.

Dr. Herbert Lutz, stellvertretender Direktor des Naturhistorischen Museums Mainz, fragt sich, wo die restlichen 24 Zähne des Eppelsheimer Menschenaffen geblieben sind, wo der Rest des Oberkiefers oder sogar der ganze Schädel. Angeblich weisen die zwei Menschenaffenzähne aus Eppelsheim in Struktur und Form verblüffende Ähnlichkeiten zu Zähnen äthiopischer Vormenschen auf. Dabei handelt es sich um „Ardi“ (Ardipithecus ramidus, 4,4 Millionen Jahre alt) und „Lucy“ (Australopithecus afarensis) zwischen 2,9 und 3,8 Millionen Jahre alt). Zu Menschenaffenfunden aus Europa oder Asien wollen sie angeblich gar nicht passen.

Am spektakulärsten wären die zwei Menschenaffenzähne von 2016, wenn sie von einer bisher nicht aus Eppelsheim bekannten Gattung oder Art stammen würden. Noch größer wäre die Sensation, wenn der Backenzahn und der Eckzahn nicht von einer Gattung oder Art, sondern von zwei stammen würden. Ein weiterer Fundort von Menschenaffenzähnen aus Ablagerungen des Ur-Rheins ist der Wissberg bei Gau-Weinheim (Kreis Mainz-Bingen), wo Rhenopithecus nachgewiesen ist. Offenbar waren die Ufer des Ur-Rheins ein Paradies für Menschenaffen.

Vermeintliche sensationelle Entdeckungen von Menschenaffenzähnen oder Frühmenschenzähnen können manchmal mit großen Enttäuschungen enden. Ein Würzburger Forscher hatte vor etlichen Jahren geglaubt, einen mehr als 500.000 Jahre alten Frühmenschenzahn gefunden zu haben, aber es war nur ein Bärenzahn. Ein Mainzer Wissenschaftsautor träumte mal davon, in einem Steinbruch von Budenheim bei Mainz einen rund 20 Millionen Jahre alten Menschenaffenzahn geborgen zu haben, doch es war ein fossiler Schweinezahn.

Im Obermiozän vor rund zehn Millionen Jahren war der Rhein viel kürzer und schmäler als heute. Statt 1.324 Kilometern Länge und maximal 400 Metern Breite erreichte er damals nur eine Länge von rund 400 Kilometern und eine Breite bis zu 60 Metern. Damals floss er nicht durch die Gegend von Oppenheim, Nierstein, Nackenheim, Mainz und Wiesbaden sondern durch den Raum Alzey. Erst durch Hebungen und Senkungen des Untergrundes verlagerte er sein Bett immer mehr nach Osten.
Am Ufer des Ur-Rheins lebten Menschenaffen, Säbelzahnkatzen, Bärenhunde, Hyänen, Hauer-Elefanten, Ur-Elefanten, Nashörner mit und ohne Horn, dreihufige Ur-Pferde, Waldantilopen, Gabelhirsche, Zwerghirsche, Zwergböckchen, Tapire, Schweine, Biber und krallenfüßige Huftiere. Über die exotische Tierwelt am Ur-Rhein informiert das Buch „Der Ur-Rhein. Rheinhessen vor zehn Millionen Jahren“ (GRIN-Verlag, München) des Wiesbadener Wissenschaftsautors Ernst Probst. Zusammen mit Dr. Jens Lorenz Franzen und Heinrich Roos hat Probst am Buch „Das Dinotherium-Museum in Eppelsheim“ mitgewirkt.

Zu Lebzeiten der Menschenaffen am Ur-Rhein vor etwa zehn Millionen Jahren war es in Rheinhessen spürbar wärmer und feuchter als gegenwärtig, aber nicht tropisch. Hinweise dafür lieferten Blätter in Ablagerungen des Ur-Rheins, die von Amber- und Zimtbäumen stammen, die in Mitteleuropa jetzt nicht mehr wachsen. Wärmeliebende Palmen gediehen jedoch nicht mehr, die letzten dieser Gewächse in Deutschland kennt man aus der Zeit vor etwa 17 Millionen Jahren.

Auch Krokodile, die vor rund 15 Millionen Jahren noch durch fossile Funde nachgewiesen sind, kamen vor zehn Millionen Jahren in Rheinhessen nicht mehr vor. Diesen wärmeliebenden Reptilien war es in Deutschland zu kalt geworden. Dagegen existierten am Ur-Rhein noch mehrere Arten von Menschenaffen, die aber bald danach verschwanden. Vor rund zehn Millionen Jahren herrschten in Deutschland mittlere Jahrestemperaturen von etwa 11 bis 15 Grad Celsius, heute sind es 9,5 Grad. Außerdem gab es durchschnittliche Jahresniederschläge um 1000 bis 1200 Millimeter (heute 500 Millimeter).